Es gibt Bilder, die von einer ganz besonderen Aura umgeben sind: der Aura des Gut-Aufgehobenseins. Die Möbel atmen das Leben der Generationen, den Häusern wohnt der Charme kleinstädtischer Gemütlichkeit inne und auch die Menschen scheinen noch weit weg von den Flüchen der anonymen Massengesellschaft. Taras Skrentowytch’s Bilder haben diese Aura - aber nur für den ersten Augen-Blick. Allein, dass der Künstler seine  Bilder scheinbar unfertig ihrem Schicksal überläßt, die Vorzeichnung noch an etlichen Stellen durchschimmert, verleiht dieser Aura einen kleinen Knacks.

Bilder, die Heimeligkeit ausströmen, ehren das Detail. Und auch Skrentowytch ist ihm verfallen. Soweit, dass es sich mitunter in Dekor verwandelt und den manchmal kahlen Wänden in seinen Bildern kontrastreichen Schmuck verleiht. An den Details zeigt sich aber auch, dass in den Bildern keineswegs Gemütlichkeit regiert. Eine Frau beim Blumengießen formt hinter ihrem Rücken die Hand zu einem obszönen Loch, in kahlen Büroräumen ertappt der Betrachter zwei, in Morgenmänteln Sitzende dabei wie sie voreinander gegenseitig die Augen verschliessen. Und dann fallen noch die großen Kontraste und eigenen Kompositionsregeln des Künstlers auf: malerisch schnell dahin gepinselte Wände versus minutiös gezeichnete Holzmaserungen; Bildrythmen, die sich in einer Verdoppelung der Motive, zum Beispiel in Weggabelung und Astgabelung zeigen. Und überall ergiessen sich farbige Schatten auf Böden und Wände als handelte es sich bei ihnen um autonome Gebilde allein zum Zwecke der Dekoration.

Taras Skrentowytch’s erzählerischer Bilderkosmos verdankt sich dem Zusammentreffen der einerseits östlich-akademisch geprägten Erfahrung des Künstlers mit seiner andererseits im Westen begonnenen Künstlerkarriere - davor hatte er in der Ukraine als Restaurator gearbeitet. Den dort gelehrten akademischen Zeichen- und Malkanon respektiert Skrentowytch in Form eines Spielballs. Er dreht oder verdreht, achtet oder mißachtet dessen Regeln, um mehr Raum, vielleicht auch Komik für seine Bilder zu gewinnen. Als genuin östlich darf auch seine Vorliebe für Dekor, für Muster folkloristischer Provenienz  gelten. Für eine modern-westliche Note spricht der malerische Umgang mit seinen Sujets. Da sind Möbel, Strassen oder Räume, die ihre Daseinsberechtigung im Bild überwiegend ihrer Behandlung als Farbfläche verdanken.

Vor allem aber in seinen Sujets, die Skrentowytch größtenteils aus persönlicher Erfahrung gewinnt ohne sie als biografische Einsicht abzuhandeln, zeigt sich der subtile Bildwitz des Künstlers. In seinen figuralen Bildern ebenso wie in den Interieurs richten sich die Dinge und Menschen ganz nach ihrem persönlichen Gusto ein. Sie gehorchen keinem guten Geschmack, keinem Ideal, das sie in ästhetische Höhen katapultiert. Stattdessen lieben sie die Schräglage, die ihnen ihre Existenz mit auf den Weg gegeben hat. Diese mag sich in einem scheußlichen Hotelzimmer ereignen, dessen tapezierte Wand eine bemitleidenswerte Trostlosigkeit verströmt. Oder sie findet sich in der horizontalen Lage eines Mannes auf einer Parkbank, die offensichtlich dem kunsthistorischen Vorbild des toten Christus von Andrea Mantegna entnommen ist. Hier aber im Schoß seiner Anvertrauten wirkt sie selten deplaziert.

Religiöse Motive finden desöfteren ihren mal offenen, mal versteckten Niederschlag in den Gemälden von Taras Skrentowytch Da senkt sich eine gottvaterähnliche Wolke über eine Stadt hinab oder der Schatten eines Flaschenöffners verwandelt sich in das Dreiecks-Auge Gottes. Und wer den Rosenkranz mit Blick auf den da droben betet, darf schon mal ganz weltlich auf einer Fußmatte knien, die mit ihrem eingewirkten Schriftzug „Hello“ üblicherweise den Nachbarn begrüßt. Man könnte das unfreiwillige Komik heißen, aber es ist mehr, es ist der Versuch das Leben abseits seiner hochgesteckten Ideale in den Wänden jener engen Kammern und Zimmern zu zeigen, die jeder ein Leben lang mit sich herumträgt.

Wolf Jahn.